Was tue ich?

Ich darf, beginnend vom 01.09.2014 elf Monate lang an der Visions of Hope Christian School “Rose of Sharon” auf den Philippinen ein Freiwilliges Soziales Jahr machen.
Die Kinder, die ich dort unterrichten und lieb haben darf, sind ehemalige Straßenkinder im Alter von drei bis sechzeh Jahren.
Als eine von insgesamt 17 Freiwilligen, die ADRA live dieses Jahr in verschiedene Länder entsendet, habe ich nun die Möglichkeit, von meinem Überfluss abzugeben und durch meine Zeit und meine Kraft das Projek zu unterstützen und mitzuhelfen, dass Menschen wieder hoffen können.

Samstag, 4. Oktober 2014

Simpolen & James

Ich sitze unschuldigst am Tisch und unterhalte mich mit meinen schlauen Erstklässlerinnen. Sie erzählen mir von "upuan" und "mesa", von "ilong" und "isda" und freuen sich an meinen kläglichen Versuchen, das Gehörte nachzusprechen. Plötzlich wird mir von rechts etwas direkt vors Gesicht gehalten.
Meinen ersten, reflexartigen Impuls aufzuspringen und wegzulaufen, unterdrücke ich, so wie mein Verstand wieder die Oberhand gewinnt.
Was auch immer es ist, es kann nicht so gefährlich sein, dass man es nicht in der Hand halten könnte und wenn die Kinder ersteinmal spitz gekriegt haben, dass ich vor Krabbeltieren und dergleichen einen Gewissen Respekt habe, werde ich in meinem Bett und auf meinem Teller, im Unterricht, in meiner Wäsche und wo immer möglich, einen kleinen "Streichelzoo" aufmachen können. Deshalb keine Panik, ersteinmal in Ruhe anschauen. Als ich den Arm des Mädchens auf sicheren Abstand gebracht habe, sehe ich ungläubig einen schönen, schwarz glänzenden, daumengroßen Käfer.
Simpolen ist ihr Name und sie hat noch einen davon. In einer kleinen rosa Schachtel, wie zwei Puppen zum lieb haben, bewahrt sie sie auf.
"Der ist bestimmt tot!"; denke ich. Als er noch mit einem Fühler zuckt, rede ich mir ein, er ist eben noch im Todeskampf, aber als er wie vor Vergnügen anfängt zu quietschen und das Mädchen ihn mir ans Ohr hält, damit ich ihn deutlicher hören kann, reicht es dann doch. Mit einem Lächeln sage ich danke für die Käferbesichtigung und wende mich betont interessiert wieder meinen Mädels zu.
Heute wieder. Mein kleiner Freund James, der zu gerne an mir hoch und auf mir herunklettert, als wäre ich eine Palme und kein Mensch, präsentiert mir stolz einen zwei Fingerglieder langen, prächtig grün schillernden Krabbler. Diesmal greife ich zum Äußersten und streichle das Vieh sogar. Weil James der erste wäre, der mir mit Freuden bei meiner Streichelzooeröffnung helfen würde. Wenn im Umkreis von zweihundert Metern irgendetwas Kreuchendes, Kriechendes und Krabbelndes zu gegen sein sollte- James findet es und lässt es gegeneinander kämpfen. Er hat sogar einen kleinen rostigen Vogelkäfig, in dem er Geckos und fette Eidechsen fängt.
Deshalb- Augen zu und durch!!!

Gino

sEs war eine wunderbare Szene. Eine von denen, in denen man die ganze Welt umarme könnte, weil man den Schlüssel zu einerm Herzen gefunden hat.
Da ist ein Platz in meiner Klasse, der jeden Tag leer bleibt. "Gino" steht darüber. Wie oft ich diesen Gino schon gesehen habe? Vielleicht drei Mal.
Aber heute in der Mensa, wie spielten gerade ein Spiel (wem mehr Wörter mit demselben Anfangsbuchstaben einfallen) gesellte er sich zu uns. Er scheint stets etwas abwesend, nichts dringt wirklich zu ihm durch. Doch heute, beim Spielen, strahlte sein Gesicht auf, öffnete sich sein Blick bei jedem Wort, das er wusste. Ich war verblüfft über den Wortreichtum, den er an den Tag legte. Anschließend gingen wir noch zusammen Hände waschen und als ich seine kleinen Hände zusammen mit meinen einseifte, bildete er plötzlich mit erstaunlichem Geschick, das auf einige Übung schließen ließ, einen Hohlraum mit der Hand und ließ eine riesige Seifenblase steigen. Als er mein Erstaunen sah, leuchtete sein Gesicht abermals auf.
Hand in Hand gingen wir zu Tisch und ich wusste, ich hatte einen Freund gewonnen.

Jessa

"I love to sing for God!"
Sie schaut hinauf zu den Sternen. Den Kopf in den Nacken gelegt, die kleine Hand in meiner, genießen Jessa und ich den angenehm warmen Abend. Wir spazieren langsam über das Gelände und betrachten den Nachthimmel. Die Luft ist angenehm, die Bullfrösche haben noch nicht angefangen zu schreien und alles, was man hört, sind Grillen und ab und an die Straße, auf der ein Tricycle vorbeiknattert, oder einer von den unzähligen Mitsubishi-, Toyota-, oder Hyundaivans über unsere Bodenwellen holpert.
Neben einem schlanken Baum bleiben wir stehen. Ins völlige Schweigen platzt Jessa plötzlich: "Look at the beautiful stars! God created them all!"
Ich bin völlig perplex. Mit den Gedanken an meine verstorbene Großtante, den Urlaub meiner Eltern und all den anderen Neuigkeiten, die ich kurz zuvor aus dem Internet gezogen hatte, beschäftigt, überraschte mich dieser Satz plötzlich so sehr. "Yes, you are right-He did that!", sage ich, überwältigt von dem einfachen Glauben dieses Kindes. Gleich danach folgt dieser eingangs erwähnte Satz. Wir stehen und schweigen und starren in den Himmel hinauf. Und dann fängt sie an zu singen. Wir singen gemeinsam.
Was kümmert mich jetzt das Penzberger Volksfest, die 70 bis 200 Asylanten, die meine Stadt aufnehmen wird, oder meine Theatergruppe, die es in Erwägung zieht, Lysistrate zu inszenieren. Was zählt, als allein dieser Moment? Als allein zu leben?
Als allein der Augenblick hier?