Was tue ich?

Ich darf, beginnend vom 01.09.2014 elf Monate lang an der Visions of Hope Christian School “Rose of Sharon” auf den Philippinen ein Freiwilliges Soziales Jahr machen.
Die Kinder, die ich dort unterrichten und lieb haben darf, sind ehemalige Straßenkinder im Alter von drei bis sechzeh Jahren.
Als eine von insgesamt 17 Freiwilligen, die ADRA live dieses Jahr in verschiedene Länder entsendet, habe ich nun die Möglichkeit, von meinem Überfluss abzugeben und durch meine Zeit und meine Kraft das Projek zu unterstützen und mitzuhelfen, dass Menschen wieder hoffen können.

Donnerstag, 12. Februar 2015

Hannah

Ich liebe es, wie sie lacht; ich liebe es, wie sie grinst; ich liebe es, wie sie den Kopf herumwirft und mich aus weit aufgerissenen schwarzen Auge anlacht.
Ich liebe die dunklen Punkte auf ihrem rechten Wangenknochen, die die sonst so glatte und gleichmäßige Haut, wie die glänzende Oberfläche eines Wales wirken lassen.
Ich liebe die ledrigen Hände, die so fest und trocken wie die einer alten Frau sind.
Ich liebe die plötzlichen Bewegungen, die sie so wild und spannungsgeladen wirken lassen, die gerade Haltung und die rauchige Flüsterstimme. Und am allermeisten liebe ich ihre Haare. Ihre ungefähr sieben Zentimeter kurzen Haare, die morgens so kunstvoll mit kleinen bunten Gummibändern liebevoll von einer Mami gebändigt wurden und sich im Laufe des Tages in einen struppigen, unordentlich in alle Richtungen abstehenden Strubbelkopf auflösen.
Und genau dieser Salat ist so unwiderstehlich süß. Nachmittags kann man die dünnen Haare dann mit den Fingern zu allen möglichen Figuren, Formationen und Frisuren kämmen; sie aufstellen und ganz glatt ziehen, sie zur Pusteblume und zum Irokesen modellieren.
Manchmal sieht sie damit aus, wie ein Model, machmal, wie unter den Rasenmäher gekommen. Aber immer ist es bezaubernd.
Und ich liebe dieses Kind einfach, das beschließt, nicht in die Schule zu gehen, wenn ich mal nicht im Unterricht bin, weil ich Büroarbeit machen muss, weil es dann ja, wie sie meint, sowieso nichts bringt, wenn ich nicht da bin.
Aber ich hasse es, wenn sie weint. Dieses heisere Schreien, das sich wie ein krampfartiges immer wiederkehrendes Rufen anhört. Und sie weint viel.
Wenn sie mal wieder, wie fast jeden Tag von unserer Hauptlehrerin zusammengefaltet wurde, weil sie einfach einen größeren Freiheits-und Bewegungsdrang hat als die anderen- scheinbar wie ihre Haare.
Und ich stehe jeden Tag auf, damit sie nicht weint. Damit sie zur Schule geht. Damit sie lebt.
Und mit ihr ich.

Patricia

"Jesus is sleeping on your couch!", schießt es mit durch den Kopf.
Und du liegst rum und liest! Was für ein Versäumnis!
Nachdem ich die letzte Nacht in schmerzhafter Enge zwischen Wand und Knien und Ellenbogen unsrer schlafenden Lungenentzündungspatientin (die seit zwei Wochen das gegenüber liegende Zimmer zur Quarantäne bewohnt) eingekeilt verbracht hatte, ( und am Morgen mit halb abgestorbenem Ohr und rundum verspannten Schultern gestartet war, haben wir heute abend ausgehandelt, dass sie auf unserem improvisierten Gästesofa nächtigen darf.
Aus Angst vor der Einsamkeit, vor der Dunkelheit, vor den Geräuschen der Nacht, hatte sie mich gestern ganz schüchtern gefragt, ob ich bei ihr schlafen würde und zum ersten Mal in ihrer Quatantänezeit schlief Patricia im Dunkeln- nachdem ich sämtliche fünf Lichter ausgeknipst hatte.
Und nach der unangenehmen Nacht und ihrer erneuten Anfrage nach Anti-Grusel-Gesellschaft, haben wir kurzerhand beschlossen, sie bis zum Wochenende auf unserer Couch unterzubringen.
Nachdem sie alles inspiziert, wie selbstverständlich angefasst, untersucht, kommentiert und benutzt hat, was in unserer Wohnung rumsteht, -liegt und -hängt, mein Handtuch benutzte, nachdem sie wie zu Hause gemütlich in unser Bad spazierte und sich die Hände wusch, meinen Block durchblätterte und willkürlich Fragen zu meiner Fotowand stellte, nachdem sie mir ungefragt beim Wäsche aufhängen geholfen hat und zu jedem noch so kleinen Kleidungsstück einen schlauen Spruch hatte, ist sie nun endlich eingeschlafen.
Und ich lese. Und plötzlich, nach all den Nerven, die sie mich nach einem anstrengenden Tag noch gekostet hat, kommt mir dieser Satz, denn:
"Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan!"

Rico

"I have to spread the oil, ehem soil!" (etwa: ich muss das Öl- oil- auflockern, ehm den Boden-soil-), gurgelt er mit seiner goldigen präpubertären Stimmbruch- stimme. Dabei grinst er mich an und kneift die Augen zusammen, um die gegen die glühende Sonne zu schützen, die ihm den Schweiß in Bächen an den Schläfen herab treibt.
Er sitzt am Rand seines Beetes. Die staubtrockene, klumpig hellbraune Erde vor ihm liegt unter dem gleißenden Licht da, wie ein frisch zugeschüttetes Grab. Mit einer kurzen Hacke schlägt er auf die Lehmkrümel ein und träumt von Tomaten und Karotten, von Kürbis und Bohnen.
Mit seinen schlaksigen Armen, den unwiderstehlich breiten Grinsen, dass an einen glücklichen Märchenbuchfrosch erinnert und den schwimmen schelmisch blitzenden Augen, dem für seine elf Jahre recht flotten Mundwerk und der Vorliebe für meine Haare, ist er einer, dessen Namen man nach zwei Wochen schon kennt, auch wenn man ihn in dieser Zeit nur einmal gesehen hat.
Awarded for the most courteous-(als Höflichster in seiner Klasse ausgezeichnet)- wobei er seinen Auftritt bei der Ehrungszeremonie verpasst hatte und sich hinterher erkundigen musste, was denn bitte "courteous" sei- zaubert er einfach jedem ein Schmunzeln ins Gesicht; ein inneres Grinsen, das erst die Ohren anhebt und mit einem leichten Zucken um die Augen beginnt, gefolgt von bebenden Nasenflügeln und schließlich in einem herzhaften Lachen endet.
Und so scheppert er mit seiner Blecheimerstimme dem nächsten Passanten denselben Wortwitz vor die Füße.
Und ich muss grinsen.